Freitag, 12. Oktober 2007

Grundvoraussetzungen für eine soziale Reportage

„Es scheint, der Mann nimmt sich nicht so ernst, wie er die Dinge nimmt.“ Bertolt Brecht (1920)

Das Wissen über das Unbewusste, die Urform unseres Ichs, dient als Grundlage der menschlichen Psychologie. Sie ermöglicht uns einen ersten Einblick im Umgang , nicht nur mit einem fremden Menschen. Auch bei der Recherche einer Reportage o. ä., wo Menschen eine wichtige Rolle übernehmen, sollten wir dieses emotionale Grundgerüst berücksichtigen.

Während wir unser rationales Wissen, d. h. Sprachentwicklung, Kommunikation, Diplomatie etc., zwar ein Leben lang erweitern können, hat es jedoch kaum Auswirkungen auf unser Verhalten. Wir sind bequem. Wir reagieren eher auf Dinge, die uns pausenlos „unter die Nase“ gehalten werden. Unser Gehirn ist sicher die beste Erfindung der Evolution, dennoch hat es einen entscheidenden Nachteil, unser Automatisierungsstreben. Wir wollen über Dinge, die wir tun, nicht nachdenken. Was unter anderem dazu führt, dass wir unsere schlechten Gewohnheiten nicht korrigieren, geschweige denn ablegen können. Dies führt wiederum dazu, dass manche Menschen null anpassungsfähig sind.

Wir suchen nicht nach Möglichkeiten uns der Umwelt anzupassen, vielmehr nach einer Umwelt, die zu uns passt, in der wir uns wohlfühlen. Wie wir dies tun, welche Umstände uns zu solchem Handeln treiben, darf ich regelmäßig auf meinen Reisen durch unsere Gesellschaft erleben. (z. Bsp. In meinem Buch „Zu Fuß von Dresden nach Dublin“, Reportagen)

Doch wie kommt man als Autor heran an die fremden Menschen, heran an ihre persönliche Meinung?

An erster Stelle müssen wir uns selbst reglementieren, dieses Unbewusste beiseitedrücken, nicht unterdrücken. Auch wenn es noch so verlockend ist, etwas zu veröffentlichen, sollte man sich nicht dem Zwang unterwerfen, gar dem Druck aussetzten, dies tun zu müssen. Das fällt schwer, mögen viele anmerken, vor allem dann, wenn man davon Leben muss. Dies ist allerdings ein anderes Thema.

Als Ausgangspunkt, wenn man und das nicht nur als Autor mit Menschen umgeht, ist Toleranz, Vertrauen und ein echtes Interesse gegenüber seinem Gesprächspartner. Hierzu gehört auch die Standhaftigkeit, privates nicht zu veröffentlichen, auch wenn es noch so große Vermarktungschancen bietet.

Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Ehrlichkeit gegenüber seinem Interviewpartner, welchem der Journalist davon in Kenntnis setzten sollte, sobald er eine Veröffentlichungsabsicht hegt. Er darf niemals davon ausgehen, der gegenüber merkt das schon nicht. Die Feinfühligkeit eines Menschen ist weder ergründbar noch zu durchschauen. Schließlich erwarten wir auch von unserem Partner, dass er ehrlich uns gegenüber ist. Um den Interviewpartner nicht gleich zu verschrecken, ist es ratsam, nicht sofort mit der Tür ins Haus zu fallen. Eine Erwähnung zwischendurch oder am Ende des Gespräches genügt. Zu diesem Zeitpunkt kann unser Gegenüber immer noch sein Veto einlegen.

Noch ein Wort zum Interviewpartner, sobald er weiß, es folgt eine Veröffentlichung:
- Er wird preisgeben, was gut für ihn ist, was er gern lesen möchte, damit er sich wohlfühlt.
- Menschen, die zur Selbstdarstellung neigen, werden sich produzieren.

Weiterführend siehe Brecht: "Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit" (1934/35) – Brecht Werke; Band 6; Schriften; Suhrkamp Verlag; Seite 171 – 186.

Weitere Themen:
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